Stroh zu Gold...und andere Spinnereien

Figurentheater für Kinder und Erwachsene ab 7 Jahren


Ricdin Ricdon, Foto: Marinette Delanné
Ricdin Ricdon, Foto: Marinette Delanné

Inszenierung und Regie: Ilka SCHÖNBEIN
Musik und Spiel: Alexandra LUPIDI
Figurenspiel: Pauline DRÜNERT
Komposition: Alexandra LUPIDI
Figuren: Ilka SCHÖNBEIN
Regieassistenz: Anja SCHIMANSKI
Lichtdesign und Beleuchtung: Anja SCHIMANSKI

Fotos: Marinette Delanné

Premiere September 2017 Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes de Charleville-Mézières, Frankreich
weitere Aufführungen November 2017: Internationales Figurenfestival Neuchâtel, Schweiz

Produktion: Theater Meschugge.
Management: Le Ksamka.
Coproduktion und Residenz: FMTM – Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes de Charleville-Mézières, Frankreich

 

Informationen auch unter:

www.theatermeschugge.com

 


Ein armer Müller, der aber eine schöne Tochter hat, trifft eines Tages den König und um sich ein Ansehen zu geben, behauptet er, seine Tochter könne Stroh zu Gold spinnen. Der König lässt das Mädchen auf sein Schloss kommen, führt es dort in eine Kammer voller Stroh und befiehlt ihm, dieses bis zum andern Morgen zu Gold zu verspinnen, andernfalls müsse es sterben. Die Müllerstochter ist verzweifelt. Da kommt ein kleines Männlein zur Tür herein, das ihr anbietet, die Arbeit für sie zu tun. "Aber was gibst du mir dafür?" fragt es zuvor. Die Müllerstochter gibt ihm ihr Halsband und das Männlein verspinnt in der Nacht alles Stroh zu Gold. Am nächsten Morgen führt sie der König in eine noch größere Kammer. Das Männlein erscheint wieder. Sie gibt ihm ihren Ring und alles Stroh wird versponnen. Am dritten Tag führt sie der König in eine dritte Kammer. Da die Müllerstochter nichts mehr zu geben hat, muss sie ihr erstes Kind versprechen, das sie mit dem König, der sie zur Königin machen wird, haben wird. Das Stroh wird versponnen. Über ein Jahr bekommt die Königin ein Kind. Das Männlein kommt also bald, um das Versprochene abzuholen. Die Königin bittet so sehr, dass das Männlein sich erweichen lässt und ihr anbietet, wenn sie in drei Tagen seinen Namen heraus bekäme, ihr das Kind zu lassen. Sie lässt Boten überall hin schicken, um nach fremden und seltenen Namen zu suchen. Schließlich beobachtet einer von ihnen ein Männlein im Wald, das um ein Feuer springt und singt:

"Heute back ich,
morgen brau ich,
übermorgen hol ich
der Königin ihr Kind.
Ach wie gut, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß!"

Das Kind der Königin ist gerettet und Rumpelstilzchen zerreißt sich vor Zorn in zwei Stücke.

Ilka Schönbein schreibt:

Warum ich dieses Märchen erzählen will?

"Stroh zu Gold spinnen? Na, das ist eine Kunst, die mir wohl gefällt," sagt der König.

"Etwas Lebendiges ist mir lieber als alle Schätze der Welt," sagt Rumpelstilzchen.

Dies sind die beiden Sätze, zwischen denen sich für mich das Drama entwickelt.
Seit Jahren klingen sie in meinem inneren Ohr und irgendetwas gibt Resonanz in meiner Seele. Vor etwa zwei Jahren begann ich mit der Werkstattarbeit, nach etwa drei Wochen waren die Figuren und die Regieskizze fertig. Normalerweise braucht dieser Teil der Kreation ein bis zwei Jahre. Das Männlein saß wohl nachts am Spinnrad...
Danach kam jedoch nicht die versprochene Hochzeit, sondern ein (wohl seit langer Zeit "versprochener") Zusammenbruch auf allen Ebenen. Es war nicht die Kreation, die ihn auslöste, die war nur das Tüpfelchen auf dem i. Die schon vorbereitete Frühjahrstournee Sinon je te mange... musste abgesagt werden. Seit dieser Zeit habe ich fast keine Puppe mehr angerührt.

Gibt es ein Leben nach der Puppe?
Der Schmetterling würde dies heftig bejahen. Leider bin ich kein Schmetterling. Es war und ist eine große Herausforderung ein Leben ohne den Trost der Puppe im Arm, in der Hand, an der Brust, am Bauch, auf dem Kopf, am Fuß...
Ich suche ... überall und auch im nirgends ...  nach dem Leben jenseits von Puppe und Pappe. In der Natur, in der Musik, bei meiner "Mitmenschheit".

Das Rumpelstilzchenmärchen erzählt auf seine Art vom Künstler sein und von dem Geheimnis aller künstlerischen Kreativität. Denn jeder wirklich kreative Künstler verwandelt in seiner Kunst Stroh zu Gold. Und jeder kreative Künstler besitzt einen oder auch mehrere Dämonen, die ihm dabei behilflich sind. Der Dämon aber will bezahlt sein. Und wenn man ihnen alle Schätze gegeben hat und nichts mehr sonst ihnen opfern kann, dann geht's ans Leben.

"Etwas Lebendiges ist mir lieber, als alle Schätze der Welt."

Warum ist man bereit, so teuer zu bezahlen?

Vielleicht, dass der kreative Künstler sich in einer ähnlichen Situation befindet wie die Müllerstochter: eingekerkert in einer inneren Kammer voller Stroh, das darauf wartet, zu Gold versponnen zu werden. Und die Tür wird sich erst öffnen, wenn alles Stroh versponnen ist.
Dann darf man heraustreten ins Leben, ans Licht - jedoch nur, um sich kurze Zeit später in einer noch größeren Kammer wieder zu finden... schnurr schnurr, drei Mal gezogen war die erste Spule voll... - oder: nach der Kreation ist vor der Kreation. Und keiner vermag den Künstler zu überzeugen, dass ein wirkliches Leben existiert außerhalb seines strohernen Goldkäfigs. Seltsame Geschöpfe, diese Künstler, nicht wahr?

Von Zeit zu Zeit jedoch fühlen die kleinen (oder größeren) Dämonen Mitleid mit uns. Und sie geben uns, nachdem sie unserer Pein lange genug zugesehen haben, eine Chance, dem Käfig zu entkommen. Dann muss man ihren Namen herausfinden, d.h. wer sie sind, ihre wahre Natur und warum und woher sie kommen...
Nicht so einfach.
Meine Boten sind noch immer unterwegs im Seelenland - den richtigen Namen haben sie noch nicht gefunden.

Inzwischen lauert mir das Männlein in Form einer gebastelten Puppe auf. Gut verpackt in seinem Koffer. Seit einiger Zeit jedoch fängt es an, sich bemerkbar zu machen - lautstark. Es tanzt und hüpft und singt und spinnt... vor allem in der Nacht.
Es lässt mich nicht mehr schlafen.

Heute back ich,
morgen brau ich,
übermorgen hol ich
der Königin ihr Kind...

Was soll ich tun?
Ich will nicht, dass es der Königin ihr Kind mit nimmt.

Ob ich den Koffer ungeöffnet einfach weiter gebe? Z.B. an eine andere Puppenspielerin? Eine, die eine ganze Ecke jünger ist als ich, voll mit Lust und Leben und die noch reich genug an Schätzen ist, um das Männlein zu bezahlen - und nicht mit dem Leben.

Was denken Sie?

Und wenn es dann diese wäre, die den Kobold auf der Bühne tanzen ließe und ich nur von außen und aus guter Entfernung die Sache beobachten würde und ab und zu ein paar weise Ratschläge für den fachgerechten Umgang mit solcher Art Dämonenpack?

Und wir's niemand verraten, wie mächtig das kleine Männlein in Wahrheit ist?
Und wir's niemand verraten, wie zornig es werden kann, wenn man's nicht ordentlich bezahlt?

Wenn wir einfach so täten, als sei's nur ein Kinder(schau)spiel und die kleinen und großen Leut' herbei locken mit Tanzen und Singen und Klingen und sie mitnehmen mit uns in das Land, wo kleine Männlein ums Feuer tanzen, wo Müllerstöchter zu Königinnen werden und Stroh - zu Gold...